18. Juni 2019 | Ein Gespräch über Soja und Museum mit Matthias Beitl, dem Direktor des Volkskundemuseum Wien, und Magdalena Puchberger, die das Soja-Projekt am Museum leitet
Geführt von und mit Nina Szogs
Volkskundemuseum und Soja? Ein historischer Kreuzungspunkt
Nina Szogs: Am Volkskundemuseum Wien ist bereits seit letztem Jahr das Projekt „Soja. Wissen – Gesellschaft – Stadt“ angesiedelt. Im September 2018 fand im Museum dazu ein transdisziplinäres Symposium statt und seitdem zeigen Veranstaltungen und Publikationen, dass die Forschungstätigkeiten zum Thema Soja gut voranschreiten. Die Verbindung von Soja und Volkskundemuseum erschließt sich jedoch nicht so leicht von allein. Wie fanden Soja und das Museum zueinander?
Matthias Beitl: Es fing damit an, dass der Verein DonauSoja bei uns angefragt hat. Der Verein wollte eine Gedenktafel am Gebäude des Volkskundemuseums anbringen. Das Volkskundemuseum Wien ist heute im Palais Schönborn beheimatet, dem ehemaligem Standort der Hochschule für Bodenkultur, der BOKU. Dadurch ist der Ort unseres heutigen Museums auch ein wichtiger Ort für DonauSoja hinsichtlich der Genese von Soja in der Gesellschaft.
Magdalena Puchberger: Denn nicht nur das Volkskundemuseum Wien, sondern auch die Geschichte der Sojabohne in Österreich stehen in einem engen Zusammenhang mit der Geschichte der in verschiedenen universitären Disziplinen umtriebigen Familie Haberlandt. Das Gartenpalais Schönborn war ab 1872 der erste Standort der BOKU – hier wurden die ersten Sojabohnen in Österreich angebaut. Und hier war der Sohn des „Soja-Pioniers“ Friedrich Haberlandt, Michael Haberlandt, erster Direktor des Wiener Volkskundemuseums.
Matthias Beitl: Das ist dann auch der Grund, warum wir die Gedenktafel abgelehnt haben. Denn die Familie Haberlandt ist eng verbunden mit dem Austrofaschismus und mit dem Nationalsozialismus und die einzige Gedenktafel, die wir am Museum angebracht haben möchten, ist eine Gedenktafel für die jüdischen Gönnerinnen und Gönner, SammlerInnen und ZuträgerInnen dieses Hauses.
Nina Szogs: Aber trotzdem war diese Anfrage der Anfang der Beschäftigung mit Soja im Volkskundemuseum Wien. Wie seid ihr vorgegangen?
Matthias Beitl: Magdalena Puchberger hat dann angefangen zu schauen, was es denn eigentlich mit dieser Anfrage auf sich hat und so sind wir auf die große Soja-Thematik gekommen. Also darauf, dass dieses Haus hier als Ort doch eine gewisse Rolle spielt in der Verbreitung der Idee von Soja als Nahrungsmittel in Österreich. Was natürlich eine wunderbare, herausragende historische Begebenheit und Verkettung ist und mit der Gründung und Institutionalisierung unseres Faches zusammenhängt. Es handelt sich bei der Zusammenkunft von BOKU und Museum um einen historischen Kreuzungspunkt.
Magdalena Puchberger: Soja hat starke kulturelle, gesellschaftliche und ökonomische Dimensionen, mit denen wir uns aus unserer spezifischen Perspektive auseinandersetzen können. Dann haben wir tiefer gegraben und haben im September 2018 das Symposium mit dem Institut für Geschichte des ländlichen Raums in St. Pölten veranstaltet. Eine transdisziplinäre Plattform, um zu schauen, wer die ProtagonistInnen in diesem Feld sind. Die Themenbandbreite reichte von der österreichisch-japanischen Geschichte, aufbereitet im Weltmuseum, zur Expertise der oberösterreichischen Landwirtschaftskammer bis hin zu ökologischen Konzepten und Kritiken zu Soja aus dem agrar-aktivistischen politischen Umfeld.
Soja im Museum und die Familie Haberlandt
Nina Szogs: Magdalena, du leitest jetzt das Projekt „SOJA: Wissen – Gesellschaft – Stadt“, wie ist deine Herangehensweise an das Thema Soja, aus deinem speziellen historisch-kulturanalytischen Hintergrund? Wie bist du dem Thema Soja begegnet, als es auf einmal vor deiner Nase war?
Magdalena Puchberger: Weil ich mich mit der Geschichte des Hauses, also des Volkskundemuseum Wien, und auch mit der Fachgeschichte der Volkskunde beziehungsweise Europäischen Ethnologie beschäftige, steht beinahe zwangsläufig auch immer wieder die Geschichte der Familie Haberlandt im Zentrum meiner Forschung. Doch auch wenn mir die Geschichte und die Verflechtungen der Familie Haberlandt mit unserer Museums- und Fachgeschichte gut vertraut sind, wurde mir mit der Anfrage des Vereins DonauSoja noch eine weitere Dimension eröffnet. So reichen die Geschichte dieses Gebäudes und die Geschichte der Familie Haberlandt noch viel weiter zurück, als gedacht, und damit sind drei Generationen der Familie mit ihren Wissenschaftskarrieren und ihren Funktionen mit diesem Haus verbunden.
Nina Szogs: Es gab somit auf einmal eine neue Perspektive, eine Zusatzperspektive, eine Soja-Perspektive auf eine Geschichte, von der man dachte, man würde sie schon kennen. Was hat das ausgelöst?
Magdalena Puchberger: Das ist in gewisser Weise einzigartig und das hat mich sofort interessiert. Und nicht nur mich. Auch die anderen MitarbeiterInnen des Hauses haben sich sofort für das Thema interessiert und viele großartige Ideen und Herangehensweisen haben sich eröffnet. Die große Bandbreite von Soja war dann relativ schnell klar und wir möchten damit eine neue Dimension aufmachen und darüber nachdenken: Was hat Soja mit Alltag zu tun? Was hat Soja mit Kultur zu tun? Was hat Soja mit Gesellschaft zu tun? Und was hat Soja vielleicht sogar mit gewissen „Volksbegriffen“ zu tun, also die Parallele: Bodenkultur, Volkskultur, Landwirtschaft.
Matthias Beitl: Und mit Handel und Ökonomie.
Magdalena Puchberger: Und mit Stadt. Also eigentlich immer Wien. Auch die Zeit, in der das Gebäude zur Hochschule für Bodenkultur geworden ist, gehörte zu zentralen städtischen Prozessen, die es ganz offensichtlich machen, dass das Volkskundemuseum in Wien als zutiefst urbanes Phänomen gedacht werden kann.
Matthias Beitl: Man könnte auch die Frage stellen: Gäbe es ohne die Familie Haberlandt überhaupt Soja hier?
Magdalena Puchberger: Das ist wahrscheinlich das Framing, das der österreichische und der mitteleuropäische Sojavertrieb und die Familie Haberlandt bevorzugen würden. Die Frage können wir uns natürlich so stellen, aber sie wird wahrscheinlich negativ zu beantworten sein. Aber die Erzählung ist erstmal interessant.
Nina Szogs: Also die Hinterfragung der Erzählung, wie sie dem Museum präsentiert wurde?
Matthias Beitl: Die Erzählweise hat nicht existiert, aber jetzt taucht sie plötzlich auf, anhand der Erinnerungstafel, die montiert werden sollte, die eigentlich diese Version der Geschichte definitiv gemacht hätte. Dadurch, dass wir gesagt haben, wir hängen keine Tafel auf, haben wir eigentlich der Geschichte den Raum offengelassen, um sich zu entwickeln.
Was macht das Volkskundemuseum Wien mit dem Thema Soja?
Nina Szogs: Was erhofft sich das Volkskundemuseum zum Thema Soja vermitteln zu können, was andere Museen oder Institutionen vielleicht weniger können? Was ist die spezifische Perspektive des Volkskundemuseums auf Soja?
Matthias Beitl: Bestimmte Aspekte können andere sicher auch vermitteln, aber wir üben jetzt schon seit einiger Zeit einen anderen Museumsbegriff. Das ist etwas, das uns sehr bewegt und daher ist es vielleicht für uns leichter möglich, andere Formate zu finden. Das können durchaus sehr naheliegende, aber eben niederschwellige Dinge sein, wie gemeinsam mit Soja zu kochen oder Soja im Garten des Museums anzupflanzen. Wir bewegen uns hier im Rahmen von „Nutze dein Museum“ oder Useum. Das heißt, wir fragen uns, wie kann ich die Hegemonie der Institution umkehren, also dass ich nicht nur von Partizipation spreche, sondern dass man den öffentlichen Raum, der ein Museum ja eigentlich ist, auch in Besitz nehmen kann und sich dadurch verbunden fühlt und sich vielleicht sogar als Teil einer Institution fühlt.

Nina Szogs: Ihr versteht euch also als offenes Haus? Wie sieht das denn in der Umsetzung aus, was habt ihr noch geplant?
Magdalena Puchberger: Der Kochkurs ist ein gutes Beispiel dafür, dass es uns nicht nur um Partizipation geht, sondern um den Austausch und vor allem darum, anderes Wissen reinzulassen als zum Beispiel akademisches Wissen. Weil wir von Museumsgeschichte geredet haben oder Pflanzenzucht – das ist doch recht akademisches Wissen. Wir möchten aber auch explizit konkretes Praxiswissen dazuholen und damit neue Dimensionen eröffnen. Elisabeth Fischer, mit der wir die Kochkurse machen, ist als Köchin und Rezeptentwicklerin eine der anerkanntesten Soja- bzw. TofupraktikerInnen, die es in Österreich gibt. Dies ist eine Dimension, die schlecht in einer Ausstellung oder in einem Text zu vermitteln ist, also die Dimension des Essens und Genießens, die Dimension der Kulinarik. Das geht eben am besten, wenn man es praktisch anbietet und umsetzt. Im Sojaprojekt möchten wir möglichst viele Elemente und Perspektiven mit einbeziehen: also auch die Gastronomie des Hauses und die Vermittlungsküche, ebenso die Mostothek und natürlich die klassischen Bereiche wie die Kulturvermittlung und den wissenschaftlichen und kuratorischen Bereich.
Nina Szogs: Was bedeutet das dann für eine (volkskunde)museumspezifische Öffentlichkeit? Muss man die anders denken?
Matthias Beitl: Ich glaube, wir müssen zumindest nicht allzu sehr umdenken, da wir schon eine relativ diverse Gruppe an Menschen erreichen, wie beispielsweise unterschiedliche Generationen oder Menschen mit sehr verschiedenen Zugängen zu Kultur und Kulturkonsum. Die kritische Community ist auch da. Also ein guter gesellschaftlicher Humus, mit dem man so ein Thema auch aufbauen kann.
Magdalena Puchberger: Zusätzlich kann man auch bedenken, und das kommt gerade bei diesem Thema sehr schön heraus, dass das Museum ein Zentrum in einem anderen großen Zentrum, nämlich Wien, war und ist, und dass hier schon immer wieder Stränge zusammengelaufen sind, unter anderem Stadt-Land-Beziehungen, also urbane Prozesse mit ruralen Realitäten zusammentreffen. Das kann man über Soja sehr gut zusammendenken. Also die Verbindung von Ernährung und Landwirtschaft beispielsweise positioniert Soja noch einmal ein bisschen anders als urbane Perspektiven darauf. Dieses Museum, das immer für gewisse Bilder vom und übers „Land“ gestanden ist oder sogar mitverantwortet hat, soll und kann darüber nachdenken helfen, was dieses konkrete Thema über Stadt-Land-Prozesse, über urban-rurale Verbindungen aussagt.
Soja und das Volkskundemuseum global und politisch?
Nina Szogs: Ein Aspekt von Soja ist unter anderem, dass der größte Teil der Soja-Produktion für Tierfutter verwendet wird und dass dies in globalen Zusammenhängen steht mit Landnahme, Klimawandel, Transport, Anbaubedingungen und so weiter – wie kriegt man die globale Perspektive ins Volkskundemuseum Wien?
Matthias Beitl: Ich denke mir, dass es immer über die persönliche Verantwortung funktioniert. Also dass es eigentlich immer darum geht, dass du dir überlegst, was du machst und was deine Maßnahme für eine Auswirkung auf das System hat.
Nina Szogs: Und das siehst du auch als eine wichtige Aufgabe des Volkskundemuseums?
Matthias Beitl: Total. Viele Menschen denken, sie hätten keinen Einfluss und daher auch keine Verantwortung und das ist falsch. Die Vermittlung, also auch unsere Kulturvermittlung muss dahin arbeiten, dass das Verständnis dafür größer wird, dass wenn ich etwas tue, dann hat es ganz konkrete Auswirkungen auf andere Dinge. Es geht um die Literacy von Dingen, die passieren und ein Museum ist sicherlich eine Institution, die dafür steht, dass in ihr gut recherchiertes Wissen gesammelt und weitergegeben wird. Wir sind also somit auch ein Vertrauensort und stehen jenseits von schnelllebigen und unübersichtlichen Medienorten, wo man teilweise nicht mehr unterscheiden kann, was jetzt wahr und falsch ist. Als ein Vertrauensort haben wir aber natürlich auch eine Verantwortung.
Magdalena Puchberger: Wir können anderes Wissen und andere Zugänge zur Verfügung stellen. Also fragen: Wie sind denn Zusammenhänge? Sind Dinge vielleicht in Wirklichkeit komplexer, als sie anderswo dargestellt werden? Wenn im 8. Bezirk alle über Soja-Latte nachdenken, ist eine andere Seite zum Beispiel die Massentierhaltung. Es gibt noch hundert Nuancen, über die man mit Soja nachdenken kann. Das heißt, wir müssen uns auch fragen, wen wir hier zum Sprechen bringen können, die im 8. Bezirk und in Wien eben noch nicht gehört werden. Wobei hier eben nicht alle Stimmen gleich zu bewerten sind, sondern es ist die kuratorische Museumsaufgabe zu sagen, wen wollen wir zum Sprechen bringen und wen wollen wir zu Wort kommen lassen.
Nina Szogs: Wie sieht das dann konkret aus, wer soll im Soja-Kontext sprechen?
Magdalena Puchberger: Wir haben uns bei unserem Soja-Symposium im September 2018 zum Beispiel gefragt, wer kann mir denn etwas erzählen, wohl bewusst, dass ein Symposium eine sehr stark akademische Form ist. Aber es war uns sehr wichtig, politische und zivilgesellschaftliche AktivistInnen genauso drinnen zu haben wie einen Vertreter der oberösterreichischen Landwirtschaftskammer. Und dann als nächstes die Frage: Wie kann ich akademisches Wissen mit praktischem Wissen zusammenbringen? Bekomme ich dann andere Zugänge, andere Perspektiven zum Beispiel über die Zubereitung von Soja, den Anbau von Soja. Jede und jeder findet einen anderen Ansatz, aber eigentlich alle finden einen Ansatzpunkt zu Soja.

Matthias Beitl leitet das Museum und möchte mit Soja neue Museumskonzepte erproben.
Magdalena Puchberger leitet und entwickelt das Soja-Projekt und betreut die Soja-Pflanzen im Museumsgarten.
Nina Szogs denkt und schreibt bei Soja mit und stellt kleine und große Fragen.
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Ein Kommentar zu „MuSOJAm. Soja im Museum“
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