von Johann Vollmann
18. Juni 2019 | Sojabohnen (Glycine max [L.] Merr.) stammen ursprünglich aus China, werden heute aber auf allen Kontinenten angebaut und genutzt. Botanisch sind Sojabohnen in der Pflanzenfamilie der Hülsenfrüchtler (Leguminosen, früher auch Schmetterlingsblütler) eingeordnet. Damit sind sie mit Erbsen und Bohnen verwandt, aber auch mit der Käferbohne, der Ackerbohne, der Mungbohne, mit Linse und Kichererbse oder mit den Lupinen. Allen diesen Pflanzen ist eine biologisch ziemlich spektakuläre Besonderheit gemeinsam, die sie von den meisten anderen Pflanzen unterscheidet: Sie sind in der Lage, mit bestimmten Bakterien eine Symbiose einzugehen. Dazu bilden sie an ihren Wurzeln Knöllchen aus, die diesen „Knöllchenbakterien“ (Rhizobien) einen Lebensraum bieten. Die Pflanze „füttert“ dabei die Knöllchenbakterien mit Zucker, den sie aus der Photosynthese gewinnt. Die Knöllchenbakterien versorgen die Leguminosen-Pflanze im Gegenzug mit Stickstoff, den diese aus der Atmosphäre fixieren können. Stickstoff ist der wichtigste Pflanzennährstoff, der für das Wachstum und die Qualität des Erntegutes verantwortlich ist und in der Landwirtschaft den Pflanzen meist über Düngemittel zugeführt werden muss. Weil Stickstoff ein zentrales Element in den sogenannten Aminosäuren ist und Aminosäuren den Grundbaustein der Proteine (Eiweiße) darstellen, ist Stickstoff für die Proteinbildung essentiell wichtig. Wegen dieser symbiontischen Stickstoff-Fixierung müssen also Hülsenfrüchtler nicht mit Stickstoff gedüngt werden, das ist für Landwirte ein großer Vorteil, wenn sie solche Pflanzen anbauen. Weil die Hülsenfrüchtler durch die Symbiose Stickstoff fast im Überfluss zur Verfügung haben, können sie außerdem viel mehr Protein ausbilden als andere Arten, das ist der Vorteil für Konsumentinnen und Konsumenten, die Hülsenfrüchte essen.

Während Getreidepflanzen wie Weizen, Gerste, Reis, Hafer, Hirse oder Mais in ihrem Korn nur etwa 10-15 Prozent Protein enthalten, liegt der Proteingehalt der Hülsenfrüchtler viel höher, nämlich bei über 20 bis zu über 50 Prozent. Und was macht die Sojabohne innerhalb der Hülsenfrüchtler wiederum so besonders? Rein äußerlich unterscheidet sie sich nicht allzu sehr von den anderen Leguminosen, wie ein Blick auf die jeweiligen Samen verrät (Abbildung 1). Der Unterschied liegt in der biochemischen Zusammensetzung (siehe Tabelle 1): Bei Körnererbsen, Ackerbohnen, Kichererbsen, der Gartenbohne oder Linse liegt der Proteingehalt über 20 und zumeist unter 30 Prozent. Charakteristisch für diese Arten ist ferner ein sehr niedriger Ölgehalt, aber dafür ein hoher Gehalt an Kohlenhydraten, die vor allem als Stärke ins Korn eingelagert werden. Sojabohnen zeichnen sich im Gegensatz dazu durch einen viel höheren Proteingehalt (Durchschnitt 40 Prozent) und einen Ölgehalt von etwa 20 Prozent aus. Schwankungen im Proteingehalt sind möglich und hängen von Sorte, Boden- bzw. Wachstumsbedingungen und der Arbeit der Soja-spezifischen Rhizobienbakterien ab. Sojabohnen enthalten deutlich weniger Kohlenhydrate als etwa Erbse oder Ackerbohne, und Stärke ist im reifen Korn praktisch nicht vorhanden. Einzig die Lupinen, etwa die Weiße oder die Blaue Lupine kommen in ihrer Qualität den Sojabohnen nahe, können also ebenfalls höhere Proteingehalte und etwas Öl ausbilden. Lupinen werden deshalb oft als Alternative zu Sojabohnen für kühlere Anbaugebiete diskutiert. Von den Lupinen gibt es allerdings weit weniger Sorten und die Erträge sind nicht so hoch wie jene der Sojabohnen, sodass sie praktisch kaum angebaut werden. Die Besonderheit der Sojabohne liegt also in ihrem hohen Proteingehalt, wodurch sie nicht nur zu dem am allermeisten begehrten Futtermittel wurde, sondern sich auch zu verschiedensten Lebensmitteln verarbeiten lässt.

Die Fähigkeit der Sojabohne, durch Symbiose mit Knöllchenbakterien atmosphärischen Stickstoff zu binden, ist für die gesamte Landwirtschaft und besonders für den Biolandbau bedeutsam, weil damit Düngemittel eingespart werden können und auch die Gefahr gering ist, dass durch Überdüngung Nitrat in das Grundwasser gelangen könnte. Gräbt man Sojabohnen vorsichtig aus und wäscht die Erde von den Wurzeln, so kann man die kleinen, kugelförmigen Knöllchen an den Wurzeln mit freiem Auge erkennen (siehe Abbildung 2).
Wie eine Kulturpflanze entsteht

Alle Kulturpflanzen sind aus Wildpflanzen durch einen Jahrtausende andauernden Evolutionsprozess unter menschlichem Einfluss, der Domestikation entstanden. Domestikation ließ aus dem Wolf den Hund, aus dem Wildschwein das Hausschwein, aus einfachen Gräsern den Weizen und aus wilden Sojavorfahren mit kleinen, schwarzen Körnern und kriechendem Wuchs die Kultursojabohne entstehen. Der Einfluss des Menschen (Selektion) war zuerst meist ein unbewusster, dann wurde Selektion bewusst betrieben, später schon ganz gezielt, aber erst seit der Entdeckung der Gesetze der Genetik durch Gregor Mendel und das Entstehen der Pflanzenzüchtung wurde dieser Prozess schließlich zu einer wissenschaftlichen Disziplin. Die geographische Region der Domestikation ist meist auch die Region mit der größten Verbreitung und größten genetischen Variabilität einer Pflanzenart und wird als „Genzentrum“ bezeichnet. Das Genzentrum der Sojabohne ist China, hier findet man in Feldern noch die Wildform der Sojabohne, Glycine soja, die als genetische Ressource der Kultur-Sojabohne angesehen wird und mit dieser auch erfolgreich gekreuzt werden kann, was die nahe Verwandtschaft beider Arten dokumentiert. Man nimmt an, dass erste Domestikationsprozesse der Sojabohne vor 6000 Jahren oder noch früher eingesetzt haben (Sedivy u.a., 2017).

Ob die Sojabohne zuerst im Becken des Gelben Flusses (Huang He) in Zentralchina, weiter südlich im Jangtse-Becken oder in Nordost-China (die wahrscheinlichste Hypothese aus heutiger Sicht) domestiziert worden ist, ist noch immer Gegenstand molekulargenetischer und archäobotanischer Analysen. Historische Belege für einen tatsächlichen Anbau gehen aber davon aus, dass die Sojabohne erst vor etwa 3100 bis 3500 Jahren richtig domestiziert war und genutzt wurde. Damit ist sie im Vergleich zu Weizen, Reis, Erbse oder Linse eine sehr junge Kulturart. Samen von Wildformen wie in Abbildung 3 sind viel kleiner als Kulturformen, zudem dunkel gefärbt und zur Reifezeit aus den Hülsen zu Boden fallend. Einige sogenannte Wildmerkmale der Sojabohne sind aber bis heute erhalten geblieben und bestehen in genetischen Ressourcen weiterhin fort, so zum Beispiel das Aufplatzen der Hülsen zur Reifezeit, wodurch die Samen auf den Boden fallen.
Genetische Ressourcen: Unser biokulturelles Erbe
Die Geschichte des Sojaanbaus hat bisher etwa 100.000 verschiedene Sorten und eine große Diversität hervorgebracht (Abbildung 4). Nur die modernsten dieser Sorten stehen im landwirtschaftlichen Anbau, die anderen werden heute in Genbanken als genetische Ressourcen erhalten (Carter u.a. 2004; Qiu u.a. 2011). Die größten Sojasammlungen befinden sich in der Genbank der Chinesischen Akademie der Landwirtschaftswissenschaften in Peking/China (über 31.000 Samenmuster), in der Genbank des amerikanischen Landwirtschaftsministeriums USDA in Urbana/Illinois (über 20.000 Muster), am Vavilov-Institut in St. Petersburg/Russland oder in der Genbank Gatersleben/Deutschland. Auch in Österreich werden kleinere Sojasortimente von der Arche Noah in Schiltern oder der AGES-Genbank in Linz erhalten. Damit einzigartige Genvarianten und Genkombinationen nicht verloren gehen, wird Saatgut bei -20°C gelagert und alle paar Jahre wieder angebaut, sodass die Samen keimfähig bleiben (Abbildung 5). Aufgrund von internationalen Abkommen zum Schutz und zur Verwendung genetischer Ressourcen, die von der FAO initiiert wurden, ist es möglich, Saatgut von solchen alten Sorten für Forschungszwecke und auch zum weiteren Anbau aus diesen Genbanken zu bekommen.


Diese Erhaltung alter Sorten, primitiver Landrassen, Unkrautformen oder besonderer Mutanten der Sojabohne ist wichtig, da damit die gesamte genetische Diversität möglichst groß bleibt, die sich durch menschliche Selektion naturgemäß verringert, aber zur Züchtung neuer Sorten dringend gebraucht wird. Genetische Analysen haben auch gezeigt, dass einzelne Gensequenzen vermutlich seit Jahrtausenden gleich geblieben sind, während sich andere stark verändert haben. Diese Gensequenzen sind somit gleichsam bis heute lebende Zeugen einer frühen menschlichen Selektion und damit Teil unseres biokulturellen Erbes.

Die genetischen Ressourcen der Sojabohne sind vor allem aber eine „Schatzkiste“, deren Inhalt und Wert in vielerlei Hinsicht noch vollkommen unbekannt sind. Aufwändige molekularbiologische Methoden der Charakterisierung dieser Schätze stehen da erst am Anfang ihrer Arbeit (Carter u.a. 2004). Sojabohnen enthalten bekanntlich wie auch andere Lebensmittel allergene Substanzen, die unerwünscht sind. Nach einem Screening von über 13.000 alten Sorten wurde zwei chinesische Landrassen entdeckt, die das Soja-Hauptallergen nicht enthalten. Somit sind diese alten Landrassen wertvolle Kreuzungspartner, um allergieärmere Sorten für die Lebensmittelproduktion zu entwickeln. Andere Formen wurden entdeckt, die verdauungshemmende Proteine nicht enthalten, wodurch solche Sojasorten einfacher verfüttert werden können. Wieder andere enthalten höhere Konzentrationen an gesundheitsfördernden Inhaltsstoffen wie Isoflavonen, Polyaminen, bestimmten Fettsäuren, Tokopherol oder Cholesterin-senkenden Proteinen. Auch die phänotypisch sichtbare Variabilität in Blütenfarben, Blattmerkmalen, Reifezeit, Wuchsformen, Samengröße usw. ist in diesen genetischen Ressourcen hoch (Beispiele in Abbildungen 4 und 6). Daneben hat man auch herausgefunden, dass alte Sojasorten wertvolle Resistenzgene gegen Pilzkrankheiten oder Umweltstress wie Kälte oder Hitze enthalten, die in manchen modernen Sorten nicht vorhanden sind. Um all diese Eigenschaften bewerten und in neuen Sojabohnen nutzen zu können, ist es erforderlich, die genetischen Ressourcen möglichst genau zu charakterisieren. Und es gehört zum Wesen solcher Sortensammlungen, dass darin Eigenschaften verborgen sind und konserviert wurden, von denen wir gegenwärtig noch gar nicht wissen, dass wir sie in Zukunft brauchen werden.
Pflanzenzüchtung: Von Genen und Sojasorten

Die Pflanzenzüchtung ist der Prozess, durch den aus genetischen Ressourcen oder älteren Ausgangsformen stetig neue Sorten entstehen. In Österreich sind derzeit über 60 Sojasorten in der Sortenliste der AGES eingetragen. Um auf diese Sortenliste zu gelangen, muss eine Sojabohne in zumindest einem Merkmal besser als die schon vorhandenen Sorten sein. Damit wird sichergestellt, dass Landwirte immer Saatgut von guten Sorten bekommen und der Sojaanbau im Vergleich zu anderen Kulturarten konkurrenzfähig bleibt. So wurde durch Pflanzenzüchtung die Sojabohne über Jahrhunderte erfolgreich an die Wachstumsbedingungen angepasst, die in Mitteleuropa herrschen. Diese Anpassungsleistung ist nicht nur aus statistischen Daten herauslesbar, sondern durchaus auch augenscheinlich erkennbar: Die vermutlich erste vor beinahe 250 Jahren in Österreich gewachsene Sojabohne (Shurtleff und Aoyagi 2015) weist einen dünnen, spindelig wachsenden Stängel (ein Hinweis auf mangelnde Anpassung an unsere Tageslängen und Lichtverhältnisse) auf, zudem eher wenige Blüten in Blattachseln und nur einzelne Hülsen (Abbildung 7). Ertragreiche Sorten hingegen (Abbildung 8) mit angepasstem Wuchstyp finden in Österreich optimale Wachstumsbedingungen vor und bilden daher auch reichlich Hülsen aus.

Am Anfang eines Zuchtganges steht heute bei Sojabohnen eine Kreuzung. Dabei werden Elternsorten ausgewählt, deren Merkmale und Gene man miteinander kombinieren möchte. Seit der Entdeckung der Vererbungsgesetze durch Gregor Mendel (1865/1866) können Kreuzungsnachkommen und genetische Aufspaltungsverhältnisse vorhergesagt werden, was die spätere Selektion erleichtert. Bei Sojabohnen folgen ähnlich wie bei Mendels Erbsen viele Merkmale einem dominant-rezessiven Erbgang, der zu einer 3:1-Aufspaltung der Phänotypen in der F2-Generation führt: Violette vs. weiße Blüte, braune vs. graue Behaarung, dunkelbraune vs. hellgelbe Samenschalenfarbe, vorhandene vs. nicht vorhandene Verdauungshemmstoffe, Nabelfarbe, Blattform, Hülsenfarbe, Behaarungsdichte usw. entsprechen diesem Vererbungsmuster. Komplizierter verhalten sich sogenannte quantitative Merkmale, die gleichzeitig durch viele Gene kontrolliert werden. In Abbildung 9 werden Kreuzungsnachkommenschaften dargestellt, deren Eltern sich in der Reifezeit unterscheiden: Weil eine Vielzahl von Genen den Reifezeitpunkt beeinflusst, entsteht ein buntes Bild von gänzlich reifen, noch vollkommen grünen, hellgrünen, gelben oder orangen Formen nebst diversen Übergangstypen. Einzelne Geneffekte kann man hier nicht mehr sehen, die Gene lassen sich aber mit molekularbiologischen Markern sichtbar machen. So werden in der modernen Pflanzenzüchtung die Mendelschen Regeln mit molekularen Techniken kombiniert, um die Selektion in Kreuzungsnachkommen möglichst präzise durchführen zu können. Damit kann auf unterschiedliche Reifezeit selektiert werden, was eine optimale Anpassung einer Sojasorte an eine bestimmte geographische Breite, also eine spezifische Anbauregion bedeutet. Ähnlich komplex wie die Reifezeit werden auch viele andere Merkmale vererbt, die landwirtschaftlich wichtig sind, so etwa der Samenertrag, die Pflanzenhöhe, der Proteingehalt, der Ölgehalt oder die Größe der einzelnen Bohnen.

Die Sojabohne enthält über 46.000 verschiedene Gene, und an jedem dieser Genorte kann es unterschiedliche Genvarianten (Allele) geben. Daraus ergeben sich für die Pflanzenzüchtung theoretisch ungeahnte Kombinationsmöglichkeiten. Wenn allerdings eng verwandte Sorten mit einander gekreuzt werden, unterscheiden sich diese nur in wenigen Genen und es können daraus kaum neue und bessere Sorten entwickelt werden. Auch deshalb sind genetische Ressourcen so wichtig, weil sie eine größere Diversität in Populationen hineinbringen, wodurch wiederum leichter eine Selektion verbesserter Sorten möglich ist. Auch die spezifische Kulturgeschichte der Sojabohne in Europa und Nordamerika spielt hier eine besondere Rolle. Weil zu Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts nur wenige Sojaformen (sogenannte „plant introductions“) aus China zu uns gebracht und von diesen hier nur die am besten angepassten Formen miteinander gekreuzt wurden, gehen alle „westlichen“ Sorten auf nur wenige Ursprungsformen aus China zurück. Im Vergleich zu Weizen, wo es über Jahrtausende einen Genfluss nach Europa gegeben hat, bedeutet das für die Sojabohne eine vergleichsweise schmale genetische Basis. Dies stellt im Hinblick auf Diversität einen typischen „genetic bottle-neck“ dar, den man nun mit genetischen Ressourcen aus China zu erweitern versucht.
Futtermittel und noch besser: Lebensmittel
Im weltweiten Maßstab werden gegenwärtig die allermeisten Sojabohnen (mehr als 95 Prozent der Erntemengen) als Eiweiß-Futtermittel genutzt, um Schweine, Rinder oder Geflügel zu mästen. Dies hängt mit dem hohen Proteingehalt und der guten Verfügbarkeit der Aminosäure Lysin im Sojaprotein zusammen und auch damit, dass durch die Ölextraktion ein fettfreies Futtermittel mit über 50 Prozent Protein entsteht, das sehr vielfältig in Futtermischungen eingesetzt werden kann. Unabhängig von der immer breiter geführten Diskussion über Fleischverzehr und Massentierhaltung sowie deren ethischen, sozialen, wirtschaftspolitischen und schließlich auch ökosystem- bzw. umweltrelevanten Implikationen haben Sojabohnen einen hohen ernährungsphysiologischen Wert, der sehr vorteilhaft direkt in der menschlichen Ernährung umsetzbar ist: Sojabohnen enthalten ein Protein von so hoher Qualität und Konzentration, dass damit Fleisch ersetzt werden kann.

Abbildung 10: Beispiele für Sojalebensmittel. Oben v.l.n.r.: Natto, Edamame, Soja-Knabberkerne; unten v.l.n.r.: Sojadrink, Tofu steirisch mit Kürbiskernpesto, Tofu japanisch mit Teriyaki-Sauce mariniert
Durch die von den meisten anderen Hülsenfrüchten abweichende Zusammensetzung der Sojabohne (Tabelle 1) erlauben die besonderen Werteigenschaften neben der Herstellung dezidierter Sojalebensmittel (z.B. Sojadrinks, Tofu, Aufstriche, Snacks, Gemüsesojabohnen, fermentierte Sojanahrungsmittel wie Tempeh oder Natto, siehe Abbildung 10) auch den Einsatz einzelner Komponenten in der Lebensmittelindustrie und bei der Herstellung von Nahrungsergänzungsmitteln. Deshalb sind in über 30.000 modernen Lebensmittelrezepturen einzelne Sojabestandteile (Öl, Lezithin, Tokopherol, fettfreie Proteinprodukte, Samenschalen usw.) enthalten. Die Hälfte der österreichischen Sojaernte wird gegenwärtig zu Lebensmitteln verarbeitet. Für die landwirtschaftliche Pflanzenproduktion und insbesondere die züchterische Entwicklung neuer Speisesojabohnen-Sorten bedeutet dies bezüglich der Qualität des Erntegutes eine Fülle verschiedener Anforderungen, die für diese speziellen Vermarktungsmöglichkeiten besonders relevant sind. Neben dem Fokus der Pflanzenzüchtung auf Ertrag und Anpassung an mitteleuropäische Anbaubedingungen mit früher Reifezeit bestehen somit zahlreiche weitere Optionen, Sorten zu entwickeln, die für eine Verwendung zur Lebensmittelherstellung maßgeschneidert sind. Dies gilt nicht nur für die in Lebensmitteln zunächst wichtigen Primärinhaltsstoffe wie Proteine, Kohlenhydrate und Fette, sondern auch für Merkmale der Lebensmittelsicherheit und für bekannte Inhaltsstoffe der Sojabohne, die gesundheitsfördernde Eigenschaften haben.
Global betrachtet zählt die Sojabohne zu den Ölpflanzen, weshalb Ölgehalt und Fettsäurezusammensetzung hier vorrangig bearbeitet werden. So wurden z.B. Sorten mit niedrigem Linolensäuregehalt (C18:3) entwickelt, um die Haltbarkeit des Öles zu erhöhen und die Bildung der ungesunden Trans-Fettsäuren bei der Verarbeitung zu Margarine zu unterbinden. Im europäischen Anbau wird die Sojabohne dagegen vielmehr als Proteinpflanze gesehen, weshalb weniger das Öl, sondern die Selektion auf hohen Proteingehalt im Vordergrund steht. So ist für die Herstellung von Tofu und Sojadrinks ein Proteingehalt von über 42 Prozent erforderlich, aber auch in der Futtermittelproduktion ist ein höherer Proteingehalt von Vorteil, weil damit auch der Wert der Sojabohne für die Erzeugung von Futtermischungen mit einem fixen Proteingehalt steigt.
In der Züchtungsforschung wird an weiteren Qualitätsmerkmalen gearbeitet, womit der Gesundheitswert von Sojaprodukten und gleichzeitig die Lebensmittelsicherheit erhöht werden können. Neben Tokopherolen (Vitamin E) und Lezithin wird versucht, den Gehalt an Isoflavonen (sogenannten Phytoöstrogenen) zu stabilisieren, da von dieser Komponente zahlreiche positive Gesundheitswirkungen ausgehen, die mit dem Konsum von Sojanahrungsmitteln assoziiert sind. In letzter Zeit wurde das in manchen Sojabohnen besonders gut konzentrierte Polyamin Spermidin als sehr wirksame Anti-Aging-Substanz identifiziert, was wiederum besondere Selektionsmöglichkeiten und Produktoptionen im Bereich von Speisesoja-Sorten eröffnet. Zur Verbesserung der Lebensmittelsicherheit ist beispielsweise ein genetischer Marker entwickelt worden, der anzeigt, ob ein Genotyp viel oder wenig von dem toxischen Schwermetall Cadmium aus dem Boden aufnimmt. Sojabohnen akkumulieren generell vergleichsweise viel Cadmium in ihren Samen, weshalb dieser Marker bei der Sortenwahl für Speisesojabohnen sehr nützlich ist und ganz unmittelbar zu besserer Lebensmittelsicherheit führt. Die bereits zuvor erwähnte Gen-Variante aus einer chinesischen Landsorte, die das Hauptallergen der Sojabohne nicht enthält, wurde bereits in adaptierte Sorten eingekreuzt. Sojabohnen, die weniger allergen sind, tragen damit ebenfalls zur Lebensmittelsicherheit bei. Mit der genetischen Diversität in diesen und weiteren Merkmalen der Gesundheit bzw. Lebensmittelsicherheit können somit Sorten gezüchtet werden, mit welchen die Stellung der Sojabohne bei der direkten Herstellung von Lebensmitteln weiter ausgebaut werden kann.
Trotz allem werden Sojanahrungsmittel in europäischen Ländern mitunter noch sehr wenig akzeptiert, als „exotisch“ anmutend und damit als nicht alltagstauglich erachtet. Zu einem Teil liegt dies an ungewohnten Geschmacks- und Geruchskomponenten der Sojabohne, die oft als bohnig, grasig, erdig oder gar bitter beschrieben werden. Anpassungen an den europäischen Gaumen und die Kreation von völlig neuen Zubereitungsarten sind hier sehr Erfolg versprechend (Fischer und Kührer 2008). Auch einige Formen der Gemüsesojabohne (Edamame) aus Japan könnten Abhilfe schaffen. Sie enthalten etwas mehr Zucker im reifen Korn als andere Speisesojabohnen, weshalb solche Formen eingekreuzt werden, um den Geschmack von Bohnen und daraus hergestellten Lebensmitteln zu verbessern. Auch dieses letzte Beispiel illustriert wiederum den unschätzbaren Wert von genetischen Ressourcen. Wären diese nicht vorhanden, könnte man solche Entwicklungen gar nicht erst in Gang setzen.
Was werden wir in Zukunft brauchen?
Die Entwicklung einer neuen Sojasorte von der Auswahl der Kreuzungseltern über die Selektion bis hin zur fertigen Sorte dauert 10-12 Jahre. Pflanzenzüchtung und Selektion in eine bestimmte Richtung sind daher immer auf zukünftige Szenarien gerichtet, sie bedeuten eine Art von Spekulation, welche Sorten die Landwirtschaft in mittlerer Zukunft brauchen wird. Daran orientieren sich die „Zuchtziele“ der Pflanzenzüchtung.
Mit Bezug auf den globalen Klimawandel und dessen regionale und lokale Folgeerscheinungen zeigen Modellrechnungen für Österreich, dass sich bis zum Jahr 2040 Klimacluster mit höheren Temperaturen und geringeren Niederschlägen vom Nordosten Österreichs (Marchfeld, Weinviertel) weiter nach Westen und Süden ausbreiten, während es im alpinen Raum je nach Szenario regional auch zu deutlich höheren Niederschlägen kommen kann. Für die Sojabohne bedeutet das teils eine Verlagerung der Anbaugebiete, aber auch der Anbauzeitpunkte: Durch früheren oder späteren Anbau als derzeit können Hitze- und Trockenstress-Perioden besser bewältigt werden. Das verlangt aber nach Sorten, die in ihrer Entwicklung an dieses Szenario angepasst sind, sonst würden die Erträge geringer werden. Schwerer vorhersagbar sind allerdings neue Krankheiten und Schädlinge, die im Gefolge des Klimawandels auftreten und eine jeweils spezifische Resistenzzüchtung erfordern (Vollmann 2016 b).
Ein Anbau von Sojabohnen unter Biolandbau-Bedingungen wird aufgrund des wirtschaftlichen und strukturellen Wandels in der europäischen Landwirtschaft für Österreich noch bedeutender werden als bisher. Dies erfordert Sorten, die Unkraut gut unterdrücken, mit weniger Nährstoffen aus dem Boden auskommen und stattdessen besonders gut mittels Symbiose Stickstoff fixieren können (Vollmann und Menken 2012). Außerdem sind Bio-Sorten per se gentechnikfrei und werden auch von den Verbraucherinnen und Verbrauchern als besonders nachhaltig in der agrarischen Produktion wahrgenommen. Robuste und ertragreiche Bio-Sojabohnen mit besonderen Qualitätsmerkmalen in puncto Gesundheit und Lebensmittelsicherheit – wie oben im Detail bereits erwähnt – liefern somit einen perfekten Rohstoff für eine regionale Herstellung von Sojalebensmitteln, die den steigenden Anforderungen der Verbraucherinnen und Verbraucher entsprechen.
An all diesen vermuteten künftigen Anforderungen an Sorten arbeitet die Pflanzenzüchtungsforschung bereits heute. Einzeln oder in gemeinsamen europäischen Initiativen versuchen die Pflanzenzüchterinnen und Pflanzenzüchter, entsprechende neue Sorten zu entwickeln. Dabei wird zum Beispiel versucht, verstärkt die genetischen Ressourcen aus den Entstehungsgebieten der Sojabohne zu nutzen, um die Diversität in Europa zu verbessern. Gleichzeitig werden neue technische Entwicklungen in die Pflanzenzüchtung integriert, um die aufwändigen und langwierigen Zuchtgänge und kostspieligen Feldversuche zu vereinfachen. Das umfasst etwa neue genetische Marker-Techniken, um die Selektion der besten Genotypen zu erleichtern, neue chemische Analyseverfahren, um tausende Proben rasch auf bestimmte Inhaltsstoffe untersuchen zu können oder den Einsatz von Drohnen mit speziellen Foto-Sensoren, um in Versuchsparzellen besonders gut jene Sojabohnen erkennen zu können, die hitzetoleranter sind oder rascher wachsen als andere Formen.
Der Autor
Johann Vollmann, A.o. Univ.Prof. an der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU), Dept. f. Nutzpflanzenwissenschaften
Zugang zur Sojabohne
In den 1990er Jahren sind Sojabohnen in Österreich erstmals verstärkt angebaut worden. In verschiedenen Projekten hatten wir uns an der BOKU damals mit begleitender Forschung beteiligt. Dabei konnte ich nicht nur das enorme Potential erahnen, das in der Sojabohne steckt. Immer stärker wurde seit dieser Zeit auch meine Überzeugung, dass es nicht nur wirtschaftlich, sondern noch viel mehr ökologisch und moralisch Sinn macht, den heimischen Sojaanbau und die Herstellung von Soja-Lebensmitteln in Europa zu unterstützen. Daraus haben sich dann einige spannende Forschungsprojekte entwickelt. Und immer öfter auch gutes Essen.
Literaturverzeichnis
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Ein Kommentar zu „Sojabohne: Von genetischen Ressourcen zu modernen Lebensmitteln und so weiter“
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