von Magdalena Puchberger
23. Oktober 2019 | Im Jahr 1933 erschienen Gottlieb Haberlandts „Erinnerungen. Bekenntnisse und Betrachtungen“ im Berliner Julius Springer Verlag. Darin schildert der angesehene Botaniker sein Leben, „in bunter Reihe aneinander“ gestellt, „ernste und heitere Anekdoten“ verknüpft mit familiären, privaten und beruflichen Erzählungen, wie das mit „Berlin-Wilmersdorf, Weihnachten 1932“ gezeichnete Vorwort darlegt. Gottlieb Haberlandt (1854-1945) beschreibt in diesem Buch vor allem auch seine Kindheit und Jugend in Mosonmagyaróvár (Wieselburg – Ungarisch Altenburg), wo am 6. November 1850 die „höhere landwirtschaftliche Lehranstalt“ (Gartenlaube, IV. Jg., Nr. 6, S. 69f.) eröffnet worden war, an der sein Vater seit ca. 1848 zunächst studierte und später lehrte.







Gottlieb Haberlandt wurde als erstes der sechs Kinder von Friedrich und Katharina Haberlandt 1854 geboren wurde. Es folgten Bruder Fritz, die Schwestern Luise und Karoline, Michael, der spätere Volkskundler und Mitbegründer des Volkskundemuseums in Wien, und zuletzt Katharina. Die Familie Haberlandt verließ nach dem Ausgleich von 1867 die Lehranstalt in Mosonmagyaróvár, weil die Lehranstalt nun zu einer „ungarischen Akademie“ geworden war. Ungarisch wurde Unterrichtssprache und die deutschsprachigen Professoren und ihre Familien verließen die Institution. Obwohl man Friedrich Haberlandt, der des Ungarischen mächtig war, als Leiter zu halten versuchte, lehnte dieser ab, weil er sich „zu sehr als Deutscher [fühlte], um dieser verlockenden Aussicht halber zu bleiben“ (Haberlandt, 1933, S. 36). Auf Friedrich Haberlandts Antrag hin wurde vom österreichischen Ackerbauministerium aus eine Seidenbauversuchsanstalt in Görz eingerichtet.
„Er wurde zum Direktor der Station ernannt, und im März 1869 nahm er mit seiner Familie Abschied von der Ungarisch-Altenburger Heimat. Es war ein schmerzlicher Abschied für Eltern und Kinder, und noch heute klingt mir die bewegte Stimme meines Vaters im Ohr, als er auf dem Wieselburger Bahnhof zum Waggonfenster hinaus an die vollzählig versammelten Studierenden, Kollegen und Freunde einige herzliche Abschiedsworte richtete. Der Zug setzte sich in Bewegung, und Heimat wie Kinderzeit lagen hinter mir.“ (S. 36)
Endlich nach Wien an die neugegründete Hochschule für Bodenkultur berufen, die sich von 1872 bis 1896 im Gartenpalais Schönborn (heute Volkskundemuseum Wien) befand, waren die Mitglieder der Familie Haberlandt auf dem Wiener Großereignis des Jahres 1873 des Öfteren zu Gast. Gottlieb Haberlandt beschreibt, wie er die Weltausstellung erlebte, dort Eindrücke aufsog und weiterverarbeitete:
Zwischen Matura und Studium „stürzte [ ich ] mich vielmehr in den sinnverwirrenden Trubel der Wiener Weltausstellung, die im Mai 1873 eröffnet worden war. Der Redakteur der Wiener landwirtschaftlichen Zeitung betraute mich mit der Berichterstattung über das internationale Bauerndorf, das im Prater auf dem Ausstellungsgelände aufgebaut war. Vor allem aus Österreich-Ungarn waren da die verschiedensten Bauernhaustypen samt vollständiger Einrichtung zur Schau gestellt und so hatte ich reichlich Gelegenheit zu volkskundlichen Studien, die ich unter Heranziehung aller mir zugänglichen Literatur mit Ernst und Eifer betrieb. Ihr Ergebnis ist in einer Reihe von Schilderungen, die in der genannten Zeitschrift erschienen sind, niedergelegt.“ (S. 53)
Mit diesem Zitat ist nicht nur der Konnex zu den späteren volkskundlichen Forschungen und Errungenschaften seines jüngeren Bruders Michael hergestellt, sondern auch der zu Soja. 1873 entdeckte der Pflanzenzuchtexperte Friedrich Haberlandt die Sojapflanze und -bohne in den Abteilungen von Japan und China und begann mit monarchieweiten Anbau- und Weiterverarbeitungsversuchen. Auch Gottfried Haberlandt, der sich später als Botaniker und Pflanzenphysiologe einen Namen machte, hatte eine Sojageschichte: Nicht nur, dass in seiner Herkunftsfamilie mit Soja kulinarisch experimentiert wurde. Friedrich Haberlandt bemerkt dazu in seinem Standardwerk zur Sojabohne, das 1878 erschien, dass er verschiedene Kochanregungen gegeben habe: Etwa die, die geschmacklich nicht besonders attraktiven Bohnen zu mahlen und mit anderen Lebensmitteln (Reis, Kartoffeln) zu mischen, er regte eine Zubereitung mit Gries an, die er „Sojenta“ nennen wollte und Brotbackversuche wurden unternommen. Auch engagierte Friedrich Haberlandt seinen Sohn Gottfried Mitte der 1870er Jahre kurzfristig in seine Sojaforschungen an der BOKU.
Im Ersten Weltkrieg wandte sich Gottfried Haberlandt noch einmal im weitesten Sinne der Sojabohne zu. So verfasste er das Vorwort für die 1916 von Maurice Fürstenberg verfasste Publikation „Die Einführung der Soja, eine Umwälzung der Volksernährung“, in welchem er bedauerte, dass die für ihn volkswirtschaftlich und versorgungstechnisch essenzielle „Werbetätigkeit für diesen Neuling“ Soja in Österreich/Europa „nach dem zu frühen Tod seines Vaters vollständig erlahmte“ (Fürstenberg, 1916, Vorwort). In seinen „Erinnerungen“ bezieht er sich auch auf die „Ernährungsprobleme im Weltkrieg“ und sah in nährstoffreichen Pflanzen wie Soja kriegsentscheidende Notwendigkeiten:
„Es war von vornherein klar, daß infolge der Absperrung von ausländischen Nahrungsmitteln durch die Hungerblockade zuerst Mangel an Eiweißstoffen und Fetten eintreten müßte. So erinnerte ich zunächst in einem Aufsatze die deutschen Landwirte daran, daß der Anbau der eiweißreichen Hülsenfrüchte, der in Deutschland in weit geringerem Ausmaße geübt wird als etwa in Rußland, Frankreich und Italien, nach Möglichkeit zu fördern sei.“ (G. Haberlandt, S. 203)
Nach den Hunger- und Mangelerfahrungen des Weltkrieges wurde allgemein die Volksernährung als entscheidend für die (neuen) Staaten angesehen. Gottfried Haberlandt, der inzwischen in Berlin wirkte, und dort als Pflanzenphysiologe auch in Arbeitskreisen des neugegründeten Reichsministeriums für Volksernährung und Landwirtschaft eingebunden war, engagierte sich in der Zwischenkriegszeit in dieser Richtung (Spiekermann, S. 295).
C. Claud: Die höhere landwirthschaftliche Lehranstalt Ungarisch-Altenburg. In: Oesterreichische Gartenlaube. Zeitschrift für Familie und Volk, Freiheit und Fortschritt, IV. Jg., No.6, S. 69-70.
Friedrich Haberlandt: Die Sojabohne. Wien 1878.
Gottfried Haberlandt: Erinnerungen. Bekenntnisse und Betrachtungen. Berlin 1933.
Uwe Spiekermann: Künstliche Kost. Ernährung in Deutschland, 1840 bis heute (=Umwelt und Gesellschaft, Bd.17) 2018.
Ein Kommentar zu „SiZ #5 – Erinnerungen“
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