Warum man Haberlandts Geschichte erzählen muss. Journalistisches Storytelling

Von Eva Konzett

4. Oktober 2019 | Die Viehwirtschaft verdankt dem Pflanzenkundler Friedrich Haberlandt die Sojabohne. Der Journalismus eine Geschichte, die man unbedingt erzählen muss.

Als Journalistin werde ich oft gefragt, wie ich zu Geschichten komme, wie man das macht, dieses Recherchieren und ich antworte immer: Die besten Geschichten kommen zu einem. Unverhofft.

Ich kann das umso mehr sagen, seit die Geschichte von Friedrich Haberlandt zu mir gekommen ist. Völlig aus dem Nichts.

Friedrich Haberlandt war Professor an der kaiserlich-königlichen Hochschule für Bodencultur, die einst im Gartenpalais Schönborn beheimatet war, bevor sie in den 19. Bezirk zog und zur BOKU wurde. Er war ein Mann, der sich erst mit Saatgut und dann in der Zucht von Seidenraupen versucht hatte – nicht unerfolgreich, aber auch nicht herausragend. Den man heute längst vergessen hätte, wenn da nicht die Sache mit der Sojabohne gewesen wäre.

Zu mir kam Friedrich Haberlandt an einem sonnigen Vormittag, es muss 2015 gewesen sein, und ich habe an einer Geschichte über Rumänien gearbeitet. Dort nämlich hatte der Verein Donau Soja begonnen, im großen Stil Soja anzubauen. Ich habe damals sehr viel über Osteuropa geschrieben, vor allem für Tageszeitungen, und ich dachte, das wird ein leichter Aufmacher, den ich in drei Stunden zusammengeschrieben habe.

Wenn ich damals nur gewusst hätte!

Beim Hinausgehen mehr oder weniger im Türrahmen erzählte mir der Geschäftsführer von Donau Soja, Matthias Krön, vom Herrn Haberlandt. Anekdotisch. Zum Darüberstreuen. Der nette Plausch zum Abschied.

Eine Heldengschichte

Was für eine Geschichte, habe ich mir gedacht. Es war mir sofort klar, dass sie mich mehr als drei Stunden beschäftigen wird.

Friedrich Haberlandt hat mich fasziniert. Ich habe seine Geschichte seither abgewandelt in mehreren Artikeln publiziert. Sie hat jedes Mal funktioniert. Weil sie zumindest aus narrativer Sicht ein absoluter Glücksfall ist: Für eine Geschichte nehme man einen Helden, einen Ort und eine Handlung, das empfiehlt Aristoteles schon 300 v. Christus. „Schau auf den Schluss“, sagen die Textchefinnen und -chefs heute. Der Schluss muss sitzen und der Anfang. Der Mittelteil ist weniger wichtig. Das ist ein bisschen wie bei einem Hollywoodfilm.

Bleiben wir bei Aristoteles. Haberlandt ist der Held, der unfreiwillig zum Helden werden muss, als er bei der Weltausstellung 1873 von der japanischen Delegation eine Handvoll Sojasamen in die Hand gedrückt bekommt. Und, weil er als einziger das Potential dieser Bohne erkennt, anfangen muss, sie anzupflanzen. Im neu erworbenen Versuchsgarten der Hochschule, baute er drei Varietäten an: „Die Pflanzen occupierten je einen Beetstreifen, welcher 3 Mal 0,3 Meter breit war“, so schreibt er in seiner Publikation „Die Sojabohne“ von 1878.

Auch wenn Haberlandt nicht der erste in Europa war, der Sojasamen aussäte – so die Erzählung – so war er doch der einzige, der weiterdachte. Haberlandt erkannte in der Sojabohne ihr eigentliches Potenzial als Nahrungsmittel. Die anderen hatten den Anbau wieder aufgegeben, weil sie keine Verwendung für das Kraut hatten.

Haberlandt ist also der Held. Das Barockschloss, in dem sich das Volkskundemuseum Wien heute befindet, ist der Ort und Haberlandts Bestreben, aus der asiatischen Hülsenfrucht einen Proteinersatz für die Armen in der Monarchie zu machen, die Handlung. Der Held, der aufbricht, um die Hungernden zu speisen. Mehr braucht es zunächst nicht. Den notwendigen Zwist wird Haberlandts Schicksal bringen.

Es gibt im Storytelling die Idee der Heldenreise, ein archaisches Muster, das Erzählungen zugrunde liegt, und das sie immer gut macht. Ich werde nicht alle Stufen hier erzählen. Haberlandt macht auch keine perfekte Heldenreise durch, aber er passt doch grob in das Schema: Der Professor, der durch Zufall auf die Sojabohne stößt, den also der Ruf des Abenteuers ereilt; der Held, der die erste Schwelle überschreitet und die Sojabohnen anbaut; der Mitstreiter findet, in den Saatzuchtstationen der Monarchie, in Deutsch-Altenburg, im rumänischen Radauti in der Bukowina. Der Heldenerzählung entsprechend, folgt die obligate Prüfung des Helden, als gleich die zweite Ernte ausfällt.

Doch dann weicht das Skript ab: Denn unser Held stirbt. Nicht eines natürlichen Todes am Ende eines erfüllten Wissenschafterlebens, im Wissen, dass seine Sojabohne landauf, landab in Europa verzehrt wird und einen wichtigen Beitrag zur Ernährung liefert. Friedrich Haberlandt stirbt 1878 bei einem Wanderunfall in Ternitz in Niederösterreich. Eine Geschwulst am rechten Oberschenkel. Eine unstillbare Blutung. Das war es. Vielleicht wären wir alle und unsere Großeltern davor und deren Großeltern auch nicht mit Kartoffelsalat und Schnitzel, sondern mit Sojabällchen groß geworden, wäre der Professor da nicht hingefallen.

Was für eine Geschichte. Ein unüberlegter Tritt irgendwo in der Pampa, der eine ganze Vision zerstört. In diesem Moment ist Haberlandt eher ein antiker Held, denn der Held der Heldenreise. Er stirbt. Der Tod des Helden in der griechischen Tragödie ist üblich. Bei Haberlandt ist er tragisch. Aus erzählerischer Sicht aber, ermöglicht er uns etwas ganz Entscheidendes. Man kann die Geschichte ins Heute, ins Jetzt hieven.

Brücke ins heute

Ich habe anfänglich vom Schluss einer Geschichte geredet. Dass der sitzen muss.

Wenn ich als Journalistin Chefredakteurinnen und -redakteuren eine Idee für eine Geschichte präsentiere, fragen sie als Erstes: Was geht das uns als Gesellschaft an? Berührt das die Menschen?

Haberlandt berührt. Er wirkt bis ins Heute nach. Durch ein abruptes Ableben, dadurch, dass die Geschichte der Sojabohne 1878 in Ternitz bei Niederösterreich zumindest vorerst endet, dadurch, dass mir dieser Strang verloren geht, kann ich mit aktuellen Ereignissen daran anknüpfen:

Die Ideen Haberlandts finden sich indirekt heute in der Geschichte der Schweinemast, die ohne das Importsoja aus Brasilien nicht möglich wäre – zumindest nicht zu diesem Preis. Sie finden sich pervertiert im ungeheuren Fleischkonsum in unseren Breitengraden, weil die Viehwirtschaft die Ergebnisse Haberlandts aufnahm. Er hatte eigentlich Menschen ernähren wollen und lieferte doch die Grundlagen für etwas ganz anderes. Die USA machten aus Soja Öl und das Abfallprodukt, den Sojaschrot lagerten sie in den Sauställen und Hühnermästereien Europas ab. Und dann kam Brasilien und tat dasselbe nur in genmanipulierter Form.

Eine schöne Fallhöhe für eine Geschichte, und ohne Fallhöhe kommt sie nicht aus.

Ich kann die Geschichte aber auch anders erzählen, bei Haberlandt beginnen und vom Boom der Fleischersatzprodukte heute sprechen. Von den Wurstmacherinnen und Wurstmachern, die ein Viertel ihres Umsatzes mit Sojaschnitzel machen. Von ihren Marketingleitungen, deren Augen glühen, wenn sie das Umsatzwachstum sehen. Weil zusehends die V-Würstel und nicht die Frankfurter dem Kunden schmecken.   

Und in beiden Fällen passen seine eigenen Worte am Schluss. Im ersten Fall als zynische Pointe, im zweiten Fall als Rückkehr des Helden.

„Soja wird dereinst in den Hütten der Armen eine große Rolle spielen. Als Gries oder als feines Mehl wird sie aber auch ihren Platz in die Paläste der Reichen halten“, schrieb Haberlandt selbst.

Im Palais Schönborn zumindest ist Soja heute sicher angekommen.

Eva Konzett ist Redakteurin beim Falter. Sie hat sich in den vergangenen Jahren journalistisch regelmäßig mit landwirtschaftlichen Themen auseinandergesetzt. Angefangen hat es mit der Sojabohne und Haberlandt. Es ist ihre Lieblingsgeschichte geblieben.

Artikel:

30. April 2018 Falter

Tofu kommt aus Österreich

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18. Oktober 2017 Falter

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https://www.falter.at/archiv/FALTER_20171018C933C47894/soja-ist-zum-essen-da

März 2016 DATUM

Die versaute Bohne (Print)