Globales Soja an der Schule. Ein Gespräch mit Maren Tschanter über Klimabildung und Vermittlungstechniken

17. Februar 2020 | Bei MuSOJAm interessieren wir uns immer für neue und andere Zugänge zu Soja. Gerade kreative Formen der Vermittlung von Soja-Kontexten sind für uns besonders wertvoll. Maren Tschanter unterrichtet Geografie und Mathematik an einer Stadtteilschule in Hamburg. Die SDGs – die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen – sind in der „Profiloberstufe Global Studies“ ein roter Faden. Hier begegnet der Geografie-Lehrerin auch immer wieder das Thema Soja. Sie erzählt im folgenden Interview, wie man SchülerInnen vermitteln kann, dass ihre lokalen Handlungen globale Auswirkungen haben – sowohl im negativen als auch im positiven Sinne. Unter dem Beitrag hat Maren Tschanter uns außerdem eine umfangreiche Linksammlung zu didaktischen Vermittlungstechniken zusammengestellt. Das Interview führte Nina Szogs.

Nina Szogs: Am Volkskundemuseum Wien finden derzeit Workshops für SchülerInnen-Gruppen zum Thema Soja statt. Es ist immer wieder eine Herausforderung, dieses komplexe Thema so zu verpacken, dass es greifbar wird und spannend bleibt – und vor allen Dingen nicht frustriert und lähmt, wenn es dann um die Auswirkungen unserer Lebensweise auf das Klima geht. Du unterrichtest Geografie in der gymnasialen Oberstufe in Hamburg, wo triffst du dort auf die Sojabohne und wie gehst du im Unterricht vor?

Maren Tschanter: Meine SchülerInnen* haben das Profil „Global Studies“ gewählt und haben daher vier Stunden Geografie in der Woche. In diesem Profil gibt es dann Semesterthemen wie „Globale Problemfelder und Handlungsansätze für nachhaltige Entwicklung“. Hier begegnet uns dann natürlich auch Soja. Mein roter Faden sind dabei die Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen. Im dritten Semester zum Beispiel haben wir das Thema Stadtentwicklung, also SDG 11 – Nachhaltige Städte und Gemeinden. Dazu gehören dann sowohl historische Stadtentwicklung aber insbesondere auch die Stadt in der Zukunft. Hierzu gibt es vielfältige Unterrichtsanregungen.

Nina Szogs: Welche Themen gehören noch zum Profil „Global Studies“?

Maren Tschanter: Wir haben uns in diesem Zusammenhang zum Beispiel auch kritisch mit dem Thema Konsum auseinandergesetzt, zu der Frage: Was hat der Konsum des globalen Nordens mit dem Hunger des globalen Südens zu tun? Ein Schwerpunktthema für das Geografie-Abitur 2020 ist dann auch sehr passend „Bevölkerungswachstum und Ernährungssicherung“. Da müssen die SchülerInnen unter anderem landwirtschaftliche Produkte und Nahrungsmittel als globale Handelsgüter bewerten können sowie Konzepte von Tragfähigkeit und Nachhaltigkeit als Einflussfaktoren auf die agrarische Produktion.

Industrielle und ökologische Tierhaltung

Nina Szogs: Und wie ist bei deinen SchülerInnen das Verständnis bei landwirtschaftlichen Themen? Wie ist ihr Zugang zu Landwirtschaft und Tierhaltung?

Maren Tschanter: Da ich auf dem Land aufgewachsen bin, muss ich manchmal ein bisschen schmunzeln, aber man muss es getrennt sehen. Zum Beispiel das Soja-Thema, da geht es dann letztendlich auch um Globalisierung. Aber zu dem Thema industrielle und ökologische Landwirtschaft haben wir eine Exkursion zu einem großen Ökolandbau-Betrieb gemacht. Der Betrieb hat sowohl Tierhaltung als auch eine große Getreideproduktion. Das fanden alle zunächst spannend, aber man merkte, sie mussten sich auch ein bisschen daran gewöhnen. Also sie waren sehr interessiert, aber man musste ihnen schnell die rosarote Brille nehmen. Auch bei der ökologischen Landwirtschaft geht es letztendlich ums Geschäft. Der Betrieb muss wirtschaftlich rentabel sein. Das war wohl für die meisten die größte Erkenntnis. 

Nina Szogs: Also was die Tierhaltung angeht?

Maren Tschanter: Genau. Dass die Tiere natürlich dort auch in den Schlachthof kommen, zwar nach etwa doppelt so langer Lebenszeit als beim konventionellen landwirtschaftlichen Betrieb, aber auch hier leben zum Beispiel Schweine nur etwa ein bis eineinhalb Jahre, nicht viel länger als auf einem konventionellen Betrieb.

Komplexes Wissen spielerisch vermitteln

Nina Szogs: Und wie schaffst du den didaktischen Bogen von den Schweinen auf dem konventionellen landwirtschaftlichen Betrieb und der Soja-Produktion in Südamerika?

Maren Tschanter: Im Geografie-Unterricht arbeiten wir unter anderem mit der Mystery-Methode (s. u.). Damit kann ich durch ein Bild oder durch ein Einstiegsvideo den SchülerInnen Impulse geben. Oder ich schreibe etwas an die Tafel, stelle eine Frage in den Raum. Im Rahmen des Soja-Themas war zum Beispiel „Verspeisen wir den Regenwald?“[i] die Einstiegsfrage. Dazu gebe ich dann ein Bild von einem großen Einkaufswagen mit verschiedenen Produkten mit der Frage „Was haben die Produkte gemeinsam?“. Und dann erhalten die SchülerInnen zu dieser Leitfrage Informationskärtchen, also 20-30 Stück mit ganz vielen Einzelinformationen, die sie zusammenführen und am Schluss in einer Concept Map darstellen müssen.

Nina Szogs: Was ist der Hintergrund dieser Methode?

Maren Tschanter: Sie soll das systemische Denken fördern. Systemisches Denken, also Gesamtzusammenhänge ‒ gerade in unserer globalisierten Welt ‒ erkennen zu können, soll in diesem Semester gefördert werden. Dazu gehören dann zum Beispiel die verschiedenen Dimensionen der Nachhaltigkeit, Globalisierung und ihre ganzen Tragweiten, die damit verbunden sind. Die Mystery-Methode und die Einzelinformationen, die sie auf Kärtchen erhalten, sollen dann dabei helfen, komplexe Kontexte zu erschließen. Sie müssen die Kärtchen so ordnen, dass sie Sinn ergeben und die Leitfrage beantworten. Und bei der Frage „Verspeisen wir den Regenwald?“ wird dann Soja relevant. Die Rodung des Regenwaldes für den Anbau von Soja als Futtermittel für die Tiere. Zu dieser natürlich komplexeren Antwort wurden sie mit der Methode langsam herangeführt.

Nina Szogs: War es erfolgreich? Wie fanden es die SchülerInnen?

Maren Tschanter: Sie waren tatsächlich von Anfang an gefesselt. Also einmal über die Methode und dann aber auch über dieses Thema und die Diskussionen über Fleischkonsum. Es ist alles sehr aktuell und das macht ihnen Spaß. Wir haben mit Soja nicht nur als Futtermittel weitergemacht, sondern auch als Energielieferant. Die Sojapflanze und die Ölpalme standen dann im Mittelpunkt, um dieses Problemfeld zu bearbeiten und das vernetzte Denken zu fördern. Also immer ausgehend von irgendetwas Greifbarem, zum Beispiel dem Schicksal einer Familie, und davon geht man auf die globalen Zusammenhänge. Wir fragen dann zum Beispiel, warum eine Person hungern muss und machen darüber auf den Zusammenhang von Biotreibstoff und Hunger, Regierungsverantwortung und Hunger oder den Einfluss der Agrarkonzerne und Finanzspekulationen mit Nahrungsmitteln aufmerksam. Auch das Thema Landgrabbing war für die meisten total neu, also sie haben das eher mit Kolonialismus in Verbindung gebracht und nicht als eine Praxis gesehen, die heute noch stattfindet. Letztlich geht es aber auch um Lösungsansätze und wir haben geschaut, was wir im Einzelnen machen können. Dazu gehört als erstes zu wissen, was steckt wo drin. Also wo ist Palmöl enthalten und bei Soja, dass es ein wichtiges Futtermittel ist. 

Nina Szogs: Und funktioniert es diese Komplexität zu vermitteln?

Maren Tschanter: Es ist so komplex. Ich habe jetzt zum Beispiel noch gar nicht von der Agrarpolitik der EU und Lobbyismus gesprochen. Hier den Roten Faden zu behalten ist wichtig, aber auch schwierig. So viele verschiedene Aspekte. Aber andererseits ist das für die SchülerInnen auch das Packende, weil es sie an jeder Ecke irgendwie betrifft. 

Nina Szogs: Das ist auch eine der Hauptfragen, mit der wir uns am Museum beschäftigen: Wie können wir SchülerInnen und Erwachsenen diese vielen Dimensionen vermitteln? Wie können wir Menschen auf diese Nachhaltigkeitsthemen neugierig machen, ohne sie zu frustrieren oder zu überfordern?

Maren Tschanter: Bei meinen SchülerInnen muss man bedenken, dass sie für diese Themen empfänglich sind, sonst hätten sie das Profil „Global Studies“ nicht gewählt. Dann bin ich auch sehr empfänglich dafür und das übertrage ich sicher. Und es gibt tolle didaktische Anregungen, solch komplexe Themen vermitteln zu können ‒ zum Beispiel vom Hamburger Landesinstitut für Lehrerbildung. Im Profil „Global Studies“ haben wir Zeit, über diese Dinge ausführlich zu sprechen, es machen natürlich nicht alle Hamburger SchülerInnen so ausführlich. Gleichzeitig, das fällt mir immer wieder auf, wenn ich mit LehrerInnen aus anderen Bundesländern spreche, ist Nachhaltigkeit ein Thema, dass im Hamburger Schulsystem einen hohen Stellenwert hat. Das ist nicht überall so. Es gibt bei uns im Abitur Nachhaltigkeit sogar als Schwerpunktthema. Es hängt also auch immer davon ab, welches Geografie-Verständnis im jeweiligen Lehrplan verankert ist. Für uns ist das problemorientierte Denken im Unterricht wichtig. Das heißt, dass die SchülerInnen zu einem gewissen Maß gewöhnt sind, dass Themen komplex sind und dass sie oft in einem globalen Zusammenhang denken müssen. 

Nina Szogs: Und merkst du, dass die SchülerInnen ihr Wissen in den Alltag mitnehmen?

Maren Tschanter: Ja, auf jeden Fall. Meine Klasse erzählt mir, dass es dann schon Diskussionen zu Hause am Abendbrottisch oder mit FreundInnen gibt. Ich mache immer wieder auf die gesellschaftliche Dimension von Nachhaltigkeit aufmerksam. Ich sage ihnen, dass sie ihr Wissen teilen und Bewusstsein schaffen müssen. Gleichzeitig versuchen wir aber auch das Gelernte zum Beispiel auf Klassenfahrten oder auch bei einem Klassenfrühstück mitzunehmen, indem wir die SchülerInnen bitten, dass sie aktiv schauen, was sie einkaufen: Sie sollen lernen, bewusst zu konsumieren. In diesem Zusammenhang hat ein Teil der Klasse Info-Tafeln für die ganze Schule zum SDG 12 gestaltet, welches zum bewussten Konsum anregen soll.

Infotafeln gestaltet vom „Global Studies“-Profil (Copyright: Heinrich-Hertz-Schule, Simone Zimmermann Art Direction & Konzeption)

Nina Szogs: Und meine letzte Frage, die jetzt natürlich auf der Hand liegt: Sind deine SchülerInnen dann auch bei Fridays for Future dabei?

Maren Tschanter: Ja, und das ist toll und schwierig (lacht). Freitags sind sie meistens bei mir im Unterricht und ich darf sie nicht entschuldigen und sie sind der Abschlussjahrgang, es ist also manchmal kompliziert, gerade in meinem Fach die Balance zu finden. Bei den großen Veranstaltungen gehen alle hin, mehr kann ich darüber hier nicht sagen (lacht). Also man merkt, dass viel Engagement da ist, es kommen immer wieder Vorschläge, was wir besprechen sollen im Unterricht. So gehen wir beispielsweise auch die Forderungen von Fridays For Future an den Hamburger Senat im Unterricht durch.

Nina Szogs: Vielen Dank und deinen SchülerInnen und dir alles Gute!

*Das Interview wurde nachträglich in die auf dem Blog übliche gendergerechte Schreibweise des Binnen-I vereinheitlicht.

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Zentrales Portal zum Globalen Lernen und zur Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE): https://www.globaleslernen.de/de, dort u.a. zu finden: Orientierungsrahmen für den Lernbereich Globale Entwicklung (Kurzfassung, 2018): https://www.globaleslernen.de/sites/default/files/files/link-elements/01_or-ge_kurzfassung_bf.pdf

Links zum Thema Fleischkonsum/ Hunger:

Didaktische und inhaltliche Handreichung vom Hamburger Landesinstitut für Lehrerbildung:

Globales Lernen: Hunger durch Wohlstand?: https://li.hamburg.de/publikationen/2817780/globales-lernen-hunger/

Praxis Politik (Westermann Verlag): Fleisch – Die Produktion von Hunger und Verschwendung
Ausgabe Dezember Heft 6 / 2013 (kostenpflichtig): https://www.westermann.de/artikel/23301306/Praxis-Politik-Fleisch-Die-Produktion-von-Hunger-und-Verschwendung

Welt.de: Wie die Deutschen den Regenwald mit aufessen (10/2019): https://www.welt.de/politik/article202170476/Fleischkonsum-Wie-wir-Deutschen-den-Regenwald-mit-aufessen.html [Abruf: 04.02.2020]

Praxis Geographie (Westermann Verlag): Warum muss Imara hungern? Ein Mystery-Modul zur Förderung systemischen Denkens, Ausgabe 7-8/2016 S. (kostenpflichtig): https://www.westermann.de/anlage/4583943/Warum-muss-Imara-hungern-Ein-Mystery-Modul-zur-Foerderung-systemischen-Denkens

Diercke 360° (Kostenloses didaktisches Magazin vom Westermann-Verlag mit Unterrichtsbeispielen), Ausgabe 01/2009 Thema Nachhaltigkeit, darin: S.10 ff: „Palmöl statt Regenwald“, Unterrichtseinheit Sek I: https://media.diercke.net/omeda/1_2009_nachhaltigkeit.pdf

Links zu Mysterys:

Christian Fridrich, Pädagogische Hochschule Wien (2015): Kompetenzorientiertes Lernen mit Mysterys – didaktisches Potenzial und methodische Umsetzung eines ergebnisoffenen Lernarrangements: http://www.gw-unterricht.at/images/pdf/gwu_140_50_62_fridrich.pdf

Pädagogische Hochschule Ludwigsburg: Denken lernen mit Geographie (mit einer stets aktualisierten Übersicht über Beispiele für den Unterricht): https://www.ph-ludwigsburg.de/mystery+M52087573ab0.html

Philip Herdeg, Stiftung éducation21 (2015): Mystery – eine Unterrichtsmethode für komplexe Themen: https://www.education21.ch/sites/default/files/uploads/Medienspiegel/GH_02_2015_Mystery_Herdeg.pdf


[i] Aus: Praxis Politik, Westermann Verlag (3/2009)